Es ist egal, auf welchen Berg man steigt, oben wird man immer weiter sehen  (Reinhard Karl)

Kunst ist dort relevant, wo sie ans eigene Leben rührt. Der Alpinismus, die Bergerfahrung bestimmt für mich weite Bereiche des persönlichen wie künstlerischen Lebens. Immer wieder komme ich zurück auf Zusammenhänge mit dem Berg an sich.

Zu Beginn meines künstlerischen Schaffens konzentriert auf die malerische Umsetzung heimischer Gebirgszüge, hat sich der Radius beständig ausgeweitet und mich in die markantesten Gebirgsregionen weltweit geführt: Faszination am Höhenbergsteigen, Grenzerfahrungen bei den zunächst gescheiterten, später geglückten Besteigungen von Sechstausendern in den Anden und im Himalaya, euphorische Eindrücke in der klaren, dünnen Luft, verstärkt und vielleicht auch verzerrt durch den Sauerstoffmangel.

Oder aber die ganz anderen, vielschichtigen, bereichernden Erfahrungen von der Begegnung mit KünstlerkollegInnen im Rahmen der SilvrettAteliers, bis hin zu den nachhaltigen Erlebnissen, die mir Gernot Dick im Atlin Art Center in Kanada ermöglichte.

Climbers Nightmare, 1998, Installation, Schnee, King Trench Route 4.800 m.ü.M., Mount Logan, Canada

Eineinhalb Jahre bevor ich Gernot Dick in Atlin kennenlernte, war ich zum ersten Mal im Yukon und gleich mit dem ehrgeizigen Ziel, den höchsten Berg Kanadas, den knapp 6000 Meter hohen Mount Logan zu besteigen. Ich hatte eine kleine Expedition organisiert, denn dieser Gipfel liegt in einer weiten, einsamen Gletscherregion von der Größe der Schweiz und wird nur von einer kleinen Schar von Alpinisten besucht. Wir waren zu viert und kamen vorerst gut voran.

Spektakulär die eisige Wildnis. Ich denke an eine mondhelle Nacht in unserem höchsten Lagerplatz auf etwa 4800 Metern, als ich Lichtreflexe in der Ferne wahr nahm, die ich vorerst nicht zuordnen konnte. Plötzlich erkannte ich, dass sich der Vollmond hinter dem St. Elias-Gebirge, weit draußen im Pazifischen Ozean spiegelte.

Wir führten diese Hochtour im Alpinstil durch, was mich nahe an die körperlichen Grenzen versetzte, sodass ich beim ersten Gipfelversuch der Kollegen lieber im Hochlager blieb. Wir waren gemeinsam am Tag zuvor nahe an den (vermeintlichen) Vorgipfel aufgestiegen – kurz davor hatte ich genug, ich konnte nicht mehr weiter. Dabei hätte ich unbedingt über diese Barriere schauen wollen, um wenigstens einen Blick auf den Hauptgipfel des Mt. Logan zu werfen.

Die Malutensilien hatte ich bereits im Basislager zurückgelassen, da ich bald annahm, dass auf dieser Expedition nicht genug Zeit zum Malen wäre. Doch plötzlich hatte ich Zeit; der Tag war sonnig und windstill; außergewöhnlich! Ich wollte mich akklimatisieren, machte ein paar Bleistiftskizzen ins Tagebuch, was aber unbefriedigend war. Angesichts der Weite der tief verschneiten Ebene, auf der unser Lager stand und die einen fast vergessen ließ, dass man sich auf einem Gletscher befand, musste ich mein Format neu definieren. Es trieb mich in die große Fläche.

Ich begann mit Hilfe eines Seiles die Ebene des Schneefelds zu durchschneiden, und bildete eine gewaltige, 30 mal 40 Meter umfassende T-Form im Schnee. Ich entwickelte die Form durch meine Fußspuren, die ich zu einer breiten Bahn erweiterte und verdichtete. Am Ende der beiden Bahnen errichtete ich jeweils eine Wand aus Schnee, was mit der Schneesäge ziemlich leicht und schnell gelang. Diese Wände, die wie Barrieren aufragten, hatten unterschiedliche Silhouetten, die an die dahinter liegenden Gebirgsformationen erinnerten und mein Scheitern vom Vortag symbolisierten. Der einzige gangbare Weg war der Weg zurück ins Lager.

Bleibt noch zu erwähnen, dass der Gipfelversuch an diesem Tag auch für zwei weitere Kollegen scheiterte; das Wetter verschlechterte sich und besorgt warteten wir auf unseren vierten Bergfreund. Erst am nächsten Morgen kam er, völlig durchfroren und erschöpft aber gesund wieder ins Lager zurück. Er war ununterbrochen gegangen und hatte auf diesem Gewaltmarsch den Gipfel erreicht.

Fußnote: Bei diesem Ausnahme-Alpinisten handelt es sich um Wolfgang Kölblinger, mit dem ich noch viele andere Touren und Expeditionen erleben durfte, u.a. ins patagonische Inlandeis, in die Chilenischen Anden und an die Westküste Grönlands. Eine schicksalshafte Fügung will es, dass er, während ich diese Zeilen schreibe, von einem erfolgreichen Gipfelgang am Nanga Parbat nicht mehr ins Basislager zurückgekehrt ist (2008)

Quelle: „hoch hinauf – Alpinismus in der zeitgenössischen Kunst“, 2009, Kunstforum Montafon (Hrsg), BUCHER Verlag, Hohenems

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climber’s nightmare